Der letzte Schrei ➤

Waldfriedhöfe, Livebands, Dosenbier und Bio-Särge:

Alternative Bestattungen bedienen nicht nur zu Allerheiligen den Zeitgeist.

Wer das eigene Begräbnis plane, so sagen junge Bestatter, könne dabei auch etwas übers Leben lernen.

Kurt Resch betritt durch das Tor 3 den Wiener Zentralfriedhof. Der Himmel wirkt wie mit Pastellkreiden gemalt, die Friedhofsarbeiter haben mit ihren Laubbläsern reichlich zu tun. Es ist ein schöner Herbsttag, und das passt zum Gesprächsthema. „Meine Frau und ich werden verbrannt, und dann gibt‘s ein Baumbegräbnis, das ist fix“, sagt Resch. Der Lagerarbeiter und Staplerfahrer, ein schmaler Mann in weiter Jacke, hat sich bereit erklärt, von seiner geplanten Bestattung zu erzählen. Dazu muss man wissen, Resch ist 49 Jahre alt, seine Frau erst 42. Ist das nicht ein bisschen früh? Nein, sagt Resch, er wolle seiner 16-jährigen Tochter eben Geld und Mühe ersparen, „irgendwann muss man sich kümmern“. Resch ist Kunde des privaten Bestatters Benu. Bei dem Unternehmen mit drei Filialen in Wien hat er eine sogenannte Bestattungsvorsorge abgeschlossen.

Die Stadt Wien würdigt den Trend zur Baumbestattung mittlerweile mit zwei Waldfriedhöfen innerhalb des Zentralfriedhofs. Auf welchem der beiden er dereinst ruhen wird, weiß Resch noch nicht. Sicher sei aber: „Die Urnen werden violett, wir sind Austria-Anhänger“, er grinst. Nun, da mit Allerheiligen und Allerseelen die Tage der Friedhofsbesuche bevorstehen, denken manche vielleicht über das eigene Ableben nach. Die meisten tun das sonst nicht: Nur vier von zehn Österreichern machen sich Gedanken übers eigene Begräbnis, besagt eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Wiener Privatbestatters Himmelblau.

Allein dass Bestattungsinstitute die Motive ihrer Kunden erforschen, beweist, dass moderne Bestatter sich längst als Generalisten verstehen, die zugleich Seelsorger, Logistiker und Eventmanager sein müssen.

2002 wurde das Bestattungsgewerbe in Österreich liberalisiert, erst mit der Digitalisierung ist aber so richtig Leben in die Branche gekommen. Immer öfter werden Begräbnisse in Wien nun als individuelle Feiern inszeniert, bei denen die Gäste bunte Farben tragen oder eine Liveband aufspielt.

Rund 14.000 Menschen trägt Wien jährlich zu Grabe. Der Anteil, den junge Privatbestatter wie Benu, Memoria und Himmelblau übernehmen, wächst. Vermutlich auch, weil sie versuchen, den letzten Weg zwar pietätvoll zu gestalten, dem Thema aber doch das Düstere zu nehmen.

„Der Trend geht dorthin, eher das Leben zu feiern, als schwer zu trauern“, erzählt Marijan Martinovic, Gründer der Wiener Bestattung Memoria. Seine Beerdigungsfeiern fühlten sich oft an wie fröhliche Agapen mit Sekt und Brötchen, wenn gewünscht auch mit Dosenbier. Was ist das Motiv von Menschen, die ihr eigenes Begräbnis nicht nur finanzieren, sondern gleich auch organisieren?

Spricht man mit Bestattern, gehe es den meisten darum, ihren Liebsten Unannehmlichkeiten und vor allem Kosten abzunehmen. Das klingt auch bei Kurt Resch durch, wenn er liebevoll von seiner Tochter erzählt. Er spricht über seine Bestattung wie über ein letztes Projekt, das eben abzuwickeln sei. Natürlich kann man durch die Planung seines eigenen Begräbnisses auch ein letztes Mal zeigen, wer man war, und gleichsam eine finale Botschaft senden. Das stehe bei der Planung aber selten im Vordergrund, sagen die Bestatter.

Der Drang nach Individualismus durchströmt die Gesellschaft, also auch an ihren Enden. Der Anteil der Feuerbestattungen steigt, diese wiederum finden immer häufiger in Wäldern oder auf der Donau statt. Beim 2018 gegründeten Start-up Benu endet bereits jede dritte Einäscherung in einer Naturbestattung. Insgesamt liegt die Quote der Feuer-gegenüber der Erdbestattung in Wien bei rund 34 Prozent, zumindest sind das die Zahlen der kommunalen Bestattung Wien, die immer noch die absolute Mehrheit der Begräbnisse in der Stadt arrangiert. Im Westen des Landes sieht das anders aus: Vorarlberg hatte schon vor der Pandemie einen Urnen-Anteil von 80 Prozent.

Der Wiener Bestatter Martinovic würde sich jedenfalls mehr Freiheiten wünschen. Gerne würde er es Hinterbliebenen ermöglichen, die Asche von Verstorbenen auch auf deren liebstem Berg oder Wanderweg zu verstreuen. In Österreich herrscht aber Streuverbot, und beisetzen darf man Asche nur dort, wo ein Waldstück oder Flussabschnitt als Friedhof gewidmet ist. Auch eine eigene kleine Aufbahrungshalle, mit einem Kühlraum nebenan, wäre für Martinovic ein Traum.

In Wien hält die Stadt jedoch das Monopol auf Leichenkammern, und so muss der Privatbestatter die Verabschiedungen innerhalb der Öffnungszeiten (9 bis 15 Uhr) organisieren, die die Friedhöfe Wien ihm vorschreiben. Trotzdem versucht Martinovic, mit Memoria die Menschen mit dem Tod zu versöhnen. Er vertreibt zum Beispiel Bio-Särge, die aus Bananenblättern, Rattanpalmen und wilder Ananas geflochten sind und netter wirken als herkömmliche Holztruhen.

Seine neueste Idee: ein Urnen-Fahrrad namens Frieda. Bei manchen Memoria-Begräbnissen fährt nun statt eines zwei Tonnen schweren Kleintransporters ein Lastenrad mit der Asche des Verstorbenen vor. „So nehmen wir dem Tod das Schwere“, sagt Martinovic. Sein Geschäft in der Hernalser Hauptstraße gleicht mehr einem hippen Designladen als einem Bestattungsinstitut.

Die Geschäftslokale des Bestatters Benu mögen dagegen wie ein schnörkelloser Apple-Store ausschauen, die Botschaft ist aber ähnlich wie bei Memoria. „Der Tod gehört zum Leben“ steht über der Eingangstür in der Filiale Burggasse. Geschäftsführer Alexander Burtscher spricht von „Akutbestattungen“ und „Vorsorgern“. Im Akutfall bitten Angehörige oder ein Pflegeheim, einen Verstorbenen zu holen. Die Bestattungsvorsorge ist dagegen für jene, die zu Lebzeiten ihr Begräbnis finanzieren und planen möchten. Ihm falle auf, dass Vorsorge-Kunden häufiger Feuerund Naturbestattungen wählen als Hinterbliebene für akut Verstorbene, sagt Burtscher. Womöglich ein Hinweis darauf, dass Menschen, die ihre Beisetzung planen, auch mehr über ihre Sterblichkeit nachdenken. Der Vorsorge-Service von Benu führe weit über eine althergebrachte Sterbeversicherung hinaus. „Wir machen ein Angebot: Wie soll dein Begräbnis genau ausschauen, reden wir drüber“, sagt Burtscher. Rund 1000 Kunden hätten bisher eine Bestattungsvorsorge abgeschlossen. Auch die städtische Bestattung Wien bietet die Planung zu Lebzeiten an, rund 700 Abschlüsse gebe es jedes Jahr, Tendenz steigend.

Beim Spaziergang am Zentralfriedhof erzählt Herr Resch, er zahle für die Baumbestattung mit seiner Frau etwa 8000 Euro an Benu. Romantische Motive treiben ihn dabei nicht um, die Baumlösung erspare seinen Nachfahren laufende Kosten und Pflichten. Das Geld dafür fließt derzeit in Raten auf ein Treuhandkonto. „Sterben ist kein billiges Vergnügen“, sagt Resch.

Auch die 64-jährige Wienerin Marianne Jacoba hat ihren letzten Weg geplant, jedoch auf andere Art. An einem Freitag im Oktober schickte sie einen Brief an die Anatomie der Med-Uni Wien, dass sie bereit sei, ihren Körper der Forschung zu spenden. 990 Euro sind dafür zu bezahlen, sonst keine Gebühren -damit ist eine Körperspende noch billiger als die günstigste Baumbestattung. „Vorletzte Dinge erledigt“, schrieb Jacoba danach auf Facebook. „Zuerst war‘s ein bissl komisch, dann hab‘ ich drüber geschlafen und jetzt bin ich erleichtert“, erzählt die Frau. Sie selbst sei ja immer eine richtige „Friedhofsgeherin“ gewesen, sagt Jacoba, brav habe sie die Grabsteine ihrer Ahnen geputzt: „Aber meine Tochter ist Buddhistin, die kann mit einem Grab nichts anfangen.“

So wie die Begräbnisse bunter werden, könnten sich mit ihnen auch die Friedhöfe verändern. Der Friedhof müsse nämlich „neu gedacht“ werden, um kein Auslaufmodell zu werden, mahnte kürzlich sogar die Stiftung Deutsche Bestattungskultur.

In Deutschland verwaltet etwa das Unternehmen Friedwald bereits 76 Bestattungswälder, jeweils einen auch nahe Graz und Linz. Auch die Friedhöfe Wien haben mittlerweile Waldgräber auf dem Zentralfriedhof, in Neustift, in Stammersdorf und auf dem Friedhof Südwest, und in Hietzing bietet man nun Wasserurnen an.

Friedhöfe werden ohnehin mehr für die Lebenden als für die Toten gebaut, Rituale sollen den Abschied erträglich machen. Der Tod lächelt uns alle an, man kann ihn zwar verdrängen, vielleicht sollte man ihn aber lieber als Motor betrachten, etwas möglichst Gutes aus seinem Leben zu machen. Marianne Jacoba sieht es zumindest so. „Der Tod gehört dazu, er rundet das Leben ab“, sagt sie. Auch Kurt Resch gerät am Zentralfriedhof ins Philosophieren, wenn man ihn zum Tod fragt.

„Der trifft uns alle gleich, wurscht ob wir arm oder reich, ob wir dick oder dünn sind“, sagt er. „Das Sterben ist die einzige Gerechtigkeit auf dieser Welt.“

Autor: Lukas Kapeller »


Urnen beim Bestatter benu

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FALTER Nr. 43 / 2021 vom 27. 10. 2021

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