Sterblich sein

Manfred Erjautz, Blindflug // Blind Flight, 2021.  Courtesy of the artist, Manfred Erjautz © Bildrecht, Wien 2023, Foto: Reiner Riedler
Manfred Erjautz, Blindflug // Blind Flight, 2021. Courtesy of the artist, Manfred Erjautz © Bildrecht, Wien 2023, Foto: Reiner Riedler

Dom Museum Wien, „Sterblich sein“ 6. 10. 2023 – 25. 8. 2024

„Aber es gibt eine Zeit, da lebt man, und es gibt zwei Ewigkeiten da existiert man nicht“

Arik Brauer, * 1929 – 2021

„Das Leben ist eine kurzfristige Tarnung des Todes.“

Peter Weibel, * 1944 – 2023

„Der Tod ist kein Unglück für den, der stirbt, sondern für den, der überlebt.“.

Karl Marx, * 1883

Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.

Bazon Brock, * 1936

„Sterben ist wirklich das Allerletzte“

Manfred Deix, † 2016

„Die Regentropfen auf deinem Briefpapier waren für mich wie Tautropfen auf einer erwachenden Traumwiese der Seele.“

Pauline Schürz, † 2009

„Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.“

Gerhard Bronner, 1922 - 2007

„Die Bibel ist als Kunstwerk einfach unglaublich. Sie hat etwas vom phantastischen Realismus.“

Arik Brauer, 1929 - 2021

„Die Biographie eines Menschen und sein Wert als Künstler sind zwei ganz verschiedene Sachen.“

Nikolaus Harnoncourt, 1929 - 2016

„Die meisten Maler können net amal den Pinsel halten.“

Josef Mikl, 1929 - 2008

"Leistung darf nie über den Wert von Leben entscheiden"

Barbara Prammer, 1954 – 2014

„Was kommt, verschwindet. Und es kommt etwas Neues.“

Peter Patzak, 1945 - 2021

“Wahr ist für mich, was funktioniert”

Heinz Zemanek, 1920 - 2014

“Unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte”

Heinrich Heine, 1797 - 1856
Alexandre Diop, Ce n‘est qu‘un au revoir, 2020. Privatsammlung, Wien © Alexandre Diop, Foto: 2021©Jorit Aust

Der Tod betrifft alle. Er ist das Thema der menschlichen Existenz schlechthin. Denn Mensch sein, heißt sterblich sein. Aber auch alle anderen Lebewesen – Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen, selbst Himmelskörper – sterben, vergehen, verglimmen, erlöschen. Nach über drei Jahren Coronapandemie und eineinhalb Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ist der Tod für viele Menschen als Bedrohung präsenter als jemals zuvor.

Die neue Ausstellung im Dom Museum Wien befasst sich mit dem unausweichlichsten Bestandteil jeder Existenz: „Sterblich sein“ spürt mittels Gegenüberstellung von Kunstwerken, die einen kulturhistorischen Bogen vom Mittelalter bis zur Gegenwart spannen, der tiefen Bedeutung von Tod nicht nur im individuellen, sondern auch im kollektiven und gesellschaftspolitischen Kontext nach. Intime, persönliche Ansätze werden genauso beleuchtet wie die öffentliche, politische Rolle des Sterbens und die Auseinandersetzung damit.

„Wir sind davon überzeugt, dass wir unserem Publikum diese Ausstellung zumuten können, ja sogar müssen, denn zu den Kernaufgaben eines gegenwärtigen Museums gehört es nicht nur, zu unterhalten“, so Museumsdirektorin Johanna Schwanberg, die die Schau gemeinsam mit Klaus Speidel kuratiert hat. Das Dom Museum Wien ist einer der angemessensten Orte, um eine Ausstellung über das menschheitsbestimmende Thema Tod auszurichten: Angesichts der ungemeinen Präsenz der Todesthematik in der christlichen Kunst, verwundert es nicht, dass das Museum über Sammlungen verfügt, die reich an Exponaten sind, die direkt oder indirekt mit dem Tod zu tun haben. Der Tod spielt auch in der über 3.000 Werke umfassenden, modernen und weitgehend profanen Sammlung Otto Mauer eine zentrale Rolle – Grund genug um ein „Zeichnungskabinett“ innerhalb der Schau einzurichten, das vor allem eine Fülle an Grafiken aus den Beständen präsentiert, die ursprünglich im Besitz des Dompredigers und KunstsammlersMauer waren.

„Das Dom Museum Wien mit seinen intimen Räumlichkeiten und den hochemotionalen Skulpturen, Gemälden und Grafiken ist ein idealer Ort, um die Todesthematik aus verschiedenen Perspektiven entsprechend sensibel zu beleuchten“, so Johanna Schwanberg. „Dabei kann unsere Ausstellung auch ein ‚Safe Space‘ des Zu-sich-Findens anlässlich eines Verlustes oder der Bedrohung des eigenen Lebens aufgrund einer schweren Erkrankung sein. Wir sehen unsere Schau als Chance, gerade in schwierigen Zeiten einen Ort zu haben, an dem die vielen Eindrücke, Berichte und Erfahrungen der belastenden letzten Jahre durch Kunstwerke ästhetisch verdichtet, in Ruhe reflektiertund verarbeitet werden können.“

„Sterblich sein“ erzählt, wie in allen bisherigen Ausstellungen seit der Wiedereröffnung des Dom Museum Wien im Jahr 2017, keine chronologische Geschichte, sondern arbeitet vielmehr mit Kontrasten und Gegenüberstellungen von Werken unterschiedlichster Kunstepochen. Die Ausstellung spannt anhand von Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, Fotografien und Videoinstallationen einen großen Bogen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die Auswahl zeigt sowohl Werke aus den historischen Beständen des Hauses als auch aus der Sammlung Otto Mauer Contemporary, umfasst aber darüber hinaus hochkarätige Leihgaben aus nationalen und internationalen Sammlungen, Museen, Stiften und Galerien. „Sterblich sein“ bezieht Arbeiten zahlreicher Gegenwartskünstler*innen mit mehreren zum Teil eigens für die Schau entwickelten oder neu für die Sammlung erworbenen Werken in die Ausstellung ein.

Günter Brus, Junger Tod, 2020. Courtesy of the artist © Günter Brus, Foto: L. Deinhardstein

So hat die deutsche Künstlerin Sybille Loew für das Stiegenhaus die Rauminstallation „stillerAbtrag“ (2023) realisiert. Die poetisch-ergreifende Arbeit besteht aus 200 Stoffschildern. Auf ihnenhat Loew Namen, Sterbedatum und Lebensalter von Wiener*innen, die im Jahr 2022 einsam undohne Angehörige beigesetzt wurden, in stundenlanger Handarbeit mit rotem und schwarzem Garngestickt. Damit holt die Künstlerin die Toten gedanklich aus der Vergessenheit der Nichtexistenzins Leben zurück, denn durch das „Sichtbarmachen“ der Verstorbenen wird die Unerbittlichkeitdes Todes ein wenig entschärft. Gemeinsam mit Loew wurde in Fortführung von „stiller Abtrag“ein Raum eingerichtet, der Besucher*innen eine Möglichkeit bietet, einen persönlichen Verlust –ähnlich wie in der Installation – sichtbar zu machen und mit anderen zu teilen.

Ein aus Seide gefertigtes „Totenschiff“ der mongolischen Künstlerin Nomin Bold, wie Arbeitenvon Maria Bussmann, Nikolaus Gansterer und Dan Perjovschi, wurden ebenfalls eigens für dieSchau entwickelt.

Mit Arbeiten und Werken von Kurt Absolon, Khaled Barakeh, Max Beckmann, Renate Bertlmann,Margret Bilger, Nomin Bold, Jan Brueghel d. J., Günter Brus, Maria Bussmann, Lovis Corinth,Ramesch Daha, Stefano della Bella, Alexandre Diop, Otto Dix, Albin Egger-Lienz, Ameh Egwuh, James Ensor, Manfred Erjautz, Olia Fedorova, Hans Fronius, Ernst Fuchs, María Galindo & DanitzaLuna, Nikolaus Gansterer, Domenico Gargiulo, gen. Micco Spadaro, Giovanni Giuliani, FerdinandHodler, Sam Jinks, Alfred Kubin, Maria Lassnig, Sybille Loew, Teresa Margolles, Meister derZvíkover Beweinung (?), Meister des Albrechtsaltars, Kurt Moldovan, ORLAN, Dan Perjovschi,Arnulf Rainer, Johann Elias Ridinger, Christian Rohlfs, Anton Romako, Anja Ronacher, TinaRuisinger, Walter Schels & Beate Lakotta, Eva Schlegel, Tom Schmelzer, Lena Ilay Schwingshandl,Phil Solomon, Petra Sterry, Timm Ulrichs, Francesca Woodman, Herwig Zens sowie historischeKünstler*innen, deren Namen nicht überliefert sind.

Es erscheint ein Katalog zur Ausstellung, mit einer Einleitung von Johanna Schwanberg, Essays vonThomas H. Macho und Ko-Kurator Klaus Speidel, wie einem Interviewbeitrag von Daniela Hammer-Tugendhat.

Die Ausstellung konzentriert sich auf fünf Aspekte, unter denen die vielgestaltige Thematikbeleuchtet wird: „Mitten im Leben“, „Dagegen anzeichnen“, „Gewalt des Todes“, „Berührungenund Schmerz“ und „Was bleibt“. Dabei werden vielfältige Blicke auf das Thema gezeigt. Blicke ausGeschichte und Gegenwart, Blicke von Künstler*innen unterschiedlicher geografischer, kultureller,ethnischer, sozialer und genderbedingter Hintergründe.

Während die historischen Arbeiten alle von Künstlern stammen, war es für das kuratorischeKonzept zentral, im zeitgenössischen Bereich zahlreiche Werke von Künstlerinnen zu zeigen.Angefangen von den für Otto Mauer wichtigen und bereits verstorbenen Künstlerinnen MargretBilger und Maria Lassnig, Pionierinnen der feministischen Avantgarde wie Renate Bertlmann,Francesca Woodman oder ORLAN über österreichische und internationale Künstlerinnen dermittleren Generation wie Eva Schlegel, Maria Bussmann, Ramesch Daha, Petra Sterry, SybilleLoew und Tina Ruisinger bis zu jüngeren Künstlerinnen wie Olia Fedorova oder Lena IlaySchwingshandl sind weibliche Kunstschaffende in „Sterblich sein“ stark vertreten.

Jan Brueghel d. J., Triumph des Todes, um 1620. LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna, Foto: © LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna

Die Tatsache, dass menschliches Leben immer vom Bewusstsein der Sterblichkeit überschattetoder auch – je nach Betrachtungsweise – bereichert wird, zieht sich in vielgestaltiger Weise wieein roter Faden durch den historischen Bereich der Schausammlung. Entsprechend naheliegendist demnach die Einbindung etlicher Objekte der Dauerausstellung in die Schau. Besonderseindrucksvoll: die spätbarocke Skulptur der „Maria Magdalena“ (um 1670), deren kraftvoller Körperganz im Kontrast zu dem Totenkopf in ihren Händen steht. Die polychromierte „Wopfinger Pietà“(um 1420–1430), die Maria mit dem Leichnam ihres Sohnes im Schoß darstellt, das Gesichtvoller Trauer gezeichnet, geht auch jenen unter die Haut, die nicht mit christlicher Ikonografievertraut sind. Nicht minder existenziell erscheint das ungemein expressive, ebenso farbig gefassteRelieffragment der „Beweinung Christi“ aus dem frühen 16. Jahrhundert, das die Trauernden sowohl in physischer als auch in emotionaler Nähe zum Leichnam Jesu zeigt. Highlight ist natürlichdie Grabhülle Rudolf des Stifters (1319–1335), ein kostbares Gold-Seide-Gewebe aus dem Gebietdes heutigen Iran, steht für den Versuch, auch einen Verstorbenen mit dem Edelsten, was derMensch hervorbringen kann, schützend zu bedecken und ihn im metaphorischen Sinn über dessenTod hinweg lebendig zu erhalten.

Auch in dieser Ausstellung wird der eurozentrische Blick, wie er vor allem in den historischenWerken und Avantgardearbeiten vorherrschend ist, durch Einbeziehung gegenwärtigerkünstlerischer Positionen aus anderen Teilen der Welt immer wieder relativiert – etwa Nomin Boldaus der Mongolei, Khaled Barakeh aus Syrien, Danitza Luna und María Galindo aus Bolivien,Teresa Margolles aus Mexiko oder Ameh Egwuh aus Nigeria und Alexandre Diop aus derafrikanischen Diaspora.

Das Plakatmotiv und Key Visual der Schau stammt von Günter Brus: „Junger Tod“, visualisiertin einer Mischung aus Poesie, Witz und zugleich philosophischer Ernsthaftigkeit, dass der Todstets mitten im Leben weilt. Anders als in vielen Werken ist der Tod hier kein Knochenmann. Beigenauerer Betrachtung ist jedoch unübersehbar, dass das Gesicht der schlanken Gestalt etwasTotenkopfartiges hat und an die Ikonografie von Personifikationen des Todes erinnert. Die Arbeitstammt aus einem neuen Werkkomplex von etwa zweieinhalbtausend Aquarellen, die Brus zuBeginn der Coronapandemie (2020/21) schuf.

Wie in allen Ausstellungen des Dom Museum Wien spielt auch bei dieser Thematik die Einbettungin soziale und karitative Einrichtungen der Erzdiözese Wien eine wichtige Rolle, sowohl imVorfeld als auch während der Ausstellungsdauer, was in Kooperationen, etwa mit Caritas Hospiz,Niederschlag findet.

Mitten im LebenDer erste Bereich der Ausstellung lädt dazu ein, sich der Todesthematik bewusst und ohne Furchtzu stellen: Tom Schmelzer hat aus dem „Homo-Bulla“-Motiv eines seifenblasenden Kindes –ein Kupferstich von Hendrick Goltzius – ein animiertes Video gemacht. Das großformatige Fotovon Timm Ulrichs zeigt das Augenlid des Künstlers, der sich 1981 darauf die Worte „The End“tätowieren ließ. Eva Schlegels Lichtstrahl im Bildhintergrund am Ende des Ganges wird zurMetapher für das unbekannte Danach und erinnert an zahlreiche Nahtodschilderungen. Trost undHoffnung auf ein Wiedersehen nach dem Tod ermöglicht die kontrastreiche Gegenüberstellung voneinem zeitgenössischen und einem historischen Werk in Form eines Gemäldes des französischsenegalesischenKünstlers Alexandre Diop („Ce n’est qu’un au revoir“ / „Es ist nur ein AufWiedersehen“, 2020) und einer weinenden Maria des Barockbildhauers Giovanni Giuliani. (EinFoto der Skulptur ziert im Übrigen in überdimensionaler Größe die Fassade des Dom MuseumWien.)

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Maria Lassnig, To love or not to love…, 1964/65, bis 2008 teilweise übermalt. Maria Lassnig Stiftung / Foundation, Maria Lassnig © Maria Lassnig Stiftung / Bildrecht, Wien 2023, Foto: Roland Krauss

Alfred Kubin, Der Krieg, 1903, aus der Hans von Weber Mappe. Dom Museum Wien, Sammlung Otto Mauer. Alfred Kubin © Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht, Wien 2023, Foto: L. Deinhardstein

Dagegen anzeichnen

Die sich bewegende Skulptur „Blindflug“ von Manfred Erjautz führt in den zweiten Abschnittder Ausstellung der sich als Grafikkabinett präsentiert. Ein gewisses Dem-Tod-auf-der-Spur-Sein manifestiert sich in den vielen kleinen Blättern an den beiden Wänden dieses Bereichs;großteils stammen sie aus der Sammlung Otto Mauer des Dom Museum Wien. Dabei scheintgerade die Zeichnung durch die unmittelbare Möglichkeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen,das ideale Medium zu sein, um die Unbegreiflichkeit des Todes zu visualisieren. Insgesamt ergibtsich durch die Überfülle und die Heterogenität der Zugänge von Künstler*innen wie ArnulfRainer, Margret Bilger, Günter Brus, Herwig Zens, Max Beckmann, Alfred Kubin oderOtto Dix ein vielschichtiger, verdichteter Raum, der vermittelt, wie viel Freude oder auch Leid esKunstschaffenden bereitet, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen.

Gewalt des Todes

Heftig, aufwühlend, provokant – zum Teil höchst politisch, zum Teil höchst persönlich, zum Teilphilosophisch – erscheint dieser dritte Ausstellungsbereich. Der Titel greift das zentrale Bildauf, Jan Brueghels d. J. „Triumph des Todes“, umgeben von einer grafischen InterventionNikolaus Gansterers, der schreibend und zeichnend Ausdrucksweisen erforscht, mit denenwir das Sterben begrifflich zu fassen suchen. Als absurdes Unterfangen und große Gegenthesezu Brueghel erscheint die aktivistische Arbeit „Pétition contre la mort“ (2023) von ORLAN. Diefranzösische Künstlerin ruft mit einem manifestartigen Video und einem Stapel roter Plakate,die von Besucher*innen mitgenommen werden können, zu einem Protest gegen den Tod auf.Auch die anderen Arbeiten in diesem Ausstellungsbereich konterkarieren bis zu einem gewissenGrad Brueghels Bildaussage, vor dem Tod seien alle Menschen gleich: So sprechen die Werkevon Anton Romako, Albin Egger-Lienz, Tom Schmelzer, Dan Perjovschi, Olia Fedorova,Petra Sterry, Phil Solomon, Walter Schels und Beate Lakotta von Macht und Ohnmacht,von Krieg und Kriegswunden, von institutionalisiertem Tod im Krankenhaus oder Hospiz. Dasbolivianische Kollektiv Mujeres Creando rückt Gewalterfahrungen jener ins Zentrum, deren Leidenund Tod als sogenannter Kollateralschaden in Kauf genommen wird. Die Verschränkungen vonfeministischen, queeren, indigenen und ökologischen Ansätzen spielen dabei eine zentrale Rolle.Teresa Margolles’ Beitrag „KAPUTT“ (2022) erinnert an die Femizide in ihrem Heimatland Mexiko.Arbeiten von Francesca Woodman und Phil Solomon sprechen in diesem Ausstellungsbereichdas oft tabuisierte Thema des Suizids an.

Ameh Egwuh, Life after Life 6, 2021. Dom Museum Wien, Otto Mauer Contemporary, © Ameh Egwuh and Rele Gallery, Foto: L. Deinhardstein

Berührungen und Schmerz

Der vierte Bereich zeigt hochemotionale, teils äußerst persönliche und autobiografische, teilsaber nicht minder politische Arbeiten. Sie veranschaulichen nicht nur den Schmerz ob desbevorstehenden oder schon erlittenen Verlustes, sondern auch die körperliche wie seelischeVerbundenheit zwischen Sterbenden und den ihnen nahestehenden Menschen. FerdinandHodlers Bildnis der toten Valentine Godé-Darel, etwa, zeugt von dem herausragendenUnternehmen, einen geliebten Menschen selbst im Moment seines physischen Verfalls in allen Einzelheiten zu erfassen und so für immer festzuhalten. Aus den Pressefotos, die Khaled BarakehBerichten über den Syrienkrieg entnommen hat und in denen Erwachsene die leblosen Körpergeliebter Menschen in den Armen halten, sprechen Schock, Wut und Hoffnungslosigkeit. WennBarakeh die Körper der Verstorbenen aus den Reproduktionen entfernt, entsteht eine Leerstelle,ein visuelles und taktiles Sinnbild für Gewalt und Unwiederbringlichkeit. Die Kreuzabnahme (um1730) von Giovanni Giuliani, die aus dem Stift Heiligenkreuz nach Wien gebracht werden konnte,ist eine der bedeutendsten monumentalen Skulpturen aus dem Bereich der Sakralkunst: Sie erzähltvon Abschied, Berührungen und Schmerz sowie von der Beziehung zwischen dem Verstorbenenund den Hinterbliebenen.

Was bleibt

Der letzte Bereich der Ausstellung fragt nach dem Verhältnis von Objekten, Verstorbenen undHinterbliebenen. Die Fotoserie „Traces“ (2017) von Tina Ruisinger zeigt Gegenstände, diean Verstorbene erinnern: ein Schlüssel, ein Baby-Strampler, ein Notizblatt, Stimmgabeln, eineHaarsträhne und Hemden – Dinge, die Trauernden Kraft geben, um weiterzuleben. Mit „UnlimitedHistory: Sigmund Klein“ arbeitet Ramesch Daha in einer künstlerisch-wissenschaftlichenRecherche die Geschichte ihres jüdischen Stiefurgroßvaters auf, der im KonzentrationslagerRavensbrück ermordet wurde. Anja Ronacher hat Objekte aus Beständen verschiedener Museenfotografiert. Indem sie die Gegenstände aus dem musealen Kontext löst, fragt sie, was vonvergangenen Kulturen bleibt, deren Lebenswelt und Weltbild uns nur fragmentarisch überliefertsind, und ermöglicht zugleich eine unmittelbare ästhetische Beziehung zu ihnen.

Abschließend führt die Schau gedanklich wieder zum Anfang zurück, zum zweiten Teil des Kapitels„Mitten im Leben“. Mit Arbeiten, die mittels intensiver knalliger Farbigkeit und einer versöhnlichenBildsprache nicht an Tod und Trauer erinnern, sondern aus unterschiedlichen kulturellenHintergründen positive Perspektiven auf jene Reise eröffnen, die möglicherweise nach dem Todfolgt. So hat der nigerianische Künstler Ameh Egwuh mit dem popartigen, bunten Gemälde „LifeAfter Life 6“ (2021) den Moment des Übergangs in einen metaphysischen Raum imaginiert. Inseinem während der Coronapandemie entstandenen Werk vermittelt er ein Bild des Sterbens,das frei von Angst und Schmerz ist, und bietet eine Vision des Lebens nach dem Tod. Auch dasblaue Boot der mongolischen Künstlerin Nomin Bold lässt an den Tod als Übergang, nicht alsEnde denken. Bei Maria Lassnig dagegen scheint es sich weniger um das Danach als um dieGegenwart der Toten mitten im Leben zu drehen. Die Künstlerin hat das Gemälde „To love or not tolove …“ zwischen 1964 und 2008 mehrfach verändert, sodass nun die Toten unter den Lebendenwandeln.

Mit Leihgaben von Australian Private Collection, Khaled Barakeh, Belvedere, Wien,Benediktinerstift Kremsmünster, Renate Bertlmann, Nomin Bold, Günter Brus, Ceysson &Bénétière, James Cohan, New York, Ramesch Daha, Domkirche St. Stephan, Wien, DomkircheSt. Stephan, Wien Archiv der Domkirche, Manfred Erjautz, Erzbistum Wien, Olia Fedorova, Galerie CRONE Wien/Berlin, Galerie Krinzinger, Nikolaus Gansterer, Beate Lakotta & Walter Schels,LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna, Sybille Loew, Teresa Margolles,Maria Lassnig Stiftung, ORLAN, Dan Perjovschi, Gregor Podnar, Wien, Privatsammlung, Wien,Anja Ronacher, Rudolf Staechelin Collection, Tina Ruisinger, Salzburg Museum (SammlungRossacher), Sammlung Hainz, Wien, Sammlung Klewan, Wien/München, SAMMLUNGVERBUND, Eva Schlegel, Tom Schmelzer, Lena Ilay Schwingshandl, silvia steinek galerie, StiftKLOSTERNEUBURG (Stiftsbibliothek), The Phil Solomon Project (PSP) with Special Thanks to theAustrian Film Museum, HELMUT ZAMBO, Zisterzienserabtei Stift Heiligenkreuz – Kunstsammlung.



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